1. Das Handschriftenmaterial
Bei den alttestamentlichen Schriften ist infolge der von Hieronymus vorgenommenen Neuübersetzung aus dem Hebräischen eine klare Unterscheidung zwischen altlateinischen, d.h. aus dem griechischen Septuagintatext übersetzten Fassungen und eben der Vulgata leicht. Dagegen ist der Übergang von den altlateinischen Fassungen zur Vulgata im Neuen Testament eher fließend, ein Prozeß, der sich über einen langen Zeitraum erstreckte und selbst im 13. Jahrhundert noch nicht abgeschlossen war. Zwar hat sich im Zuge der von Hieronymus begonnenen Revision offensichtlich eine neue Textfassung konstituiert, die eine größtmögliche Nähe zum damals aktuellen griechischen Bibeltext zu erreichen suchte; sie stellt aber, da sie einen weitgehend ähnlichen griechischen Ausgangstext wiedergibt, keine radikale Neuschöpfung dar, sondern basiert ihrerseits auf älteren Übersetzungen. Die offizielle Anerkennung der Vulgata erfolgte erst 1546, die erste kirchlich anerkannte Ausgabe 1592. Bei der Rekonstruktion der lateinischen Überlieferung sind daher nicht nur die wenigen Handschriften zu berücksichtigen, die einen klar altlateinischen Charakter aufweisen, sondern eben auch diejenigen, die zwar über weite Strecken Vulgatacharakter tragen, aber eben doch immer wieder mit altlateinischen, d.h. in diesem Fall vom mittelalterlichen Vulgatatext abweichenden Einsprengseln durchsetzt sind. Alle diese Handschriften, wegen der teilweise vorhandenen Lücken je nach Textstelle zwischen 80 und 90 insgesamt, sind dem Mainzer Projekt im Jahr 2009 in Photographien vom Vetus Latina-Institut zur Verfügung gestellt worden. Sie wurden seitdem kollationiert und die Umschriften in Excel-Tabellen übertragen, die eine rasche Übersicht über die verschiedenen Fassungen erlauben. Diese wurde der Fachwelt online zur Verfügung gestellt (s. unten "Handschriftenkollationen online"). Für den Vergleich mit den griechischen Handschriften stehen die elektronischen Datenbanken des Instituts für Neutestamentliche Textforschung in Münster zur Verfügung.
2. Die Kirchenväterzitate
Da man für die Rekonstruktion der Textgeschichte der altlateinischen Actus Apostolorum, anders als bei der griechischen Überlieferung des Neuen Testaments, nur wenige altlateinischen Handschriften besitzt, sind die Zitate bei den Kirchenschriftstellern von besonderer Bedeutung. Daher müssen sämliche Zitate aus der Apostelgeschichte bei den lateinischen Kirchenvätern philologisch interpretiert und für die Rekonstruktion ihrer Vorlage ausgewertet werden. In 24-jähriger Kleinerarbeit hatte der Münchner Pfarrer Josef Denk bis 1927 eine Zettelkartei mit ungefähr 400 000 altlateinischen Zitaten zur Heiligen Schrift angelegt. In der Erzabtei Beuron wurde dieses Material vervollständigt, damit allein zur Apostelgeschichte insgesamt ca. 20 000 Kirchenväterzitate gesammelt. Das vollständige Belegmaterial wurde vom Leiter des Vetus Latina-Instituts zur Verfügung gestellt. Der Wortlaut dieser Zitate muß nach den neuesten kritischen Ausgaben überprüft, ihr Kontext im Hinblick auf mögliche bewußte Textänderungen analysiert werden. Dabei zeigt sich schon jetzt eindeutig, daß die daraus zu rekonstruierenden Textfassungen in ihrer Vielfalt über die handschriftlich bezeugten Fassungen hinausgehen. Wo sie identisch sind, bieten sie die Möglichkeit einer genaueren Datierung und Lokalisierung der von den meist späteren Handschriften bezeugten Textfassungen.